Antifa heißt Wohlfahrtsstaat

Perspektivlosigkeit und Hass gegenüber anderen sitzen zu tief, als dass Demonstrationen daran etwas ändern könnten. Wer nur die bereits Überzeugten mobilisiert, wird die Grundlage für rechte Gewalt nicht verhindern.

Antifa heißt Wohlfahrtsstaat
Die Gesichter unserer Partei sind die Genossinnen und Genossen vor Ort. Sie bei ihrer Arbeit bestmöglich zu unterstützen, ist unsere große Aufgabe als Partei. Bild: Olaf Krostitz

Am vergangenen Wochenende wurde Matthias Ecke von der SPD beim Plakatieren in Dresden angegriffen. Er musste im Krankenhaus notoperiert werden. In Rostock wurde unsere Genossin Nurgül Senli beim Plakatieren bedroht und rassistisch beleidigt. Auch von Genossen in Leipzig, Torgelow und Schöneiche gab es Berichte über Angriffe, Beleidigungen und Bedrohungen. Die Meldungen über Gewalt im Wahlkampf häufen sich.

Bei aller Freude und Motivation über das Plakatieren und den Wahlkampf, die ich selbst empfinde und mit anderen teilen will, sollte nicht überdeckt werden, dass wir es diesmal mit einer neuen Qualität an Zerstörung von Wahlplakaten (mehrere Tausend in Sachsen) und Angriffe auf Wahlhelfer zu tun haben. 

Als Reaktion auf den Angriff auf Matthias Ecke gab es spontan Demonstrationen in Berlin und Dresden mit je einigen tausend Demonstrierenden. Diese sind richtig: sie verleihen der Solidarität mit den Betroffenen und der Hilfe untereinander gegenüber der Gewalt einen Ausdruck. Doch sie allein reichen nicht.

Wenn wir davon ausgehen, dass rechte Dominanz und eine Kultur der Gewalt sich über Jahre in vielen Regionen, insbesondere auch in der Fläche in Ostdeutschland, ausgebreitet hat, dann müssen wir auch davon ausgehen, dass diese nicht innerhalb kürzester Zeit einzudämmen ist.

Perspektivlosigkeit und Hass gegenüber anderen sitzen zu tief, als dass eine Demonstration daran etwas ändern könnte. Sie mobilisiert die bereits Überzeugten, sie kann Anstoß zum Nachdenken geben, aber Demonstrationen werden nicht die Grundlage für rechte Gewalt verhindern.

Sie allein bleiben Symbolpolitik, eine Form des hilflosen Antifaschismus aus der Hauptstadt heraus, wenn im Nachgang keine wirklichen politischen Konsequenzen gezogen werden. 

Eine neoliberale Politik der Entsolidarisierung bereitet den Nährboden rechter Gewalt. Die Gewalt beginnt in den sozialen Netzwerken und in Hetzreden in Parlamenten. Und sie setzt sich oft dort fort, wo jegliche Infrastruktur kaputt gespart wurde und Perspektivlosigkeit herrscht. Dort, wo kein Bus mehr fährt, es kein Krankenhaus mehr gibt, keine Jugendzentren oder intakte Spielplätze. Dort, wo sich rechte Vorfeldorganisationen festsetzen konnten.

Als Linke stehen wir deshalb vor der Aufgabe, der Gewalt die Stirn zu bieten, aufeinander zu achten und Schutz zu bieten und zugleich ihre Ursachen langfristig anzugehen.

Nur soziale Politik und konkrete Formen der Solidarität vor Ort können langfristig und nachhaltig etwas gegen Rechts bewirken. Antifa heißt Wohlfahrtsstaat.

In den letzten Wochen bin ich im Wahlkampf vor allem im Osten vor Ort gewesen und habe dort die Genossinnen und Genossen besucht, die regionale Strukturen auf dem Land hochhalten. Dort sind SPD und Grüne kaum bis gar nicht präsent, die Linke aufgrund ihrer Verankerung im Osten aber schon. 

Leon Walter läuft mit einem Stoß Wahlkampfzeitungen in der Hand und einer roten Umhängetasche durch Ronneburg.
Tritt im Kreis Greiz gegen Björn Höcke an: Mein Genosse Leon M. Walter. Bild: Olaf Krostitz

So haben wir etwa in Torgelow Unterschriften für den Demokratiebahnhof gesammelt, Bohnensuppe in Weißenfels verteilt oder Wahlkampf in Ronneburg im Wahlkreis des Faschisten Björn Höcke gemacht. 

Es sind diese vermeintlich kleinen Dinge, die die Linke vor Ort präsent halten. Menschen, die für den Stadtrat kandidieren und auch dann noch plakatieren oder Infostände und Veranstaltungen organisieren, wenn es gefährlich wird. Sie bei ihrer Arbeit bestmöglich zu unterstützen, ist unsere große Aufgabe als Partei.

Denn dort, wo wir nicht mehr sichtbar sind in Vereinen und auf Festen, können Rechte an Land gewinnen und der soziale Anker sein, der vielen Menschen fehlt. Geben wir diese Räume auf, geben wir politisch auf.
Ein Essensstand mit Grill in der Innenstadt von Weißenfels.
Küche für alle mit den Genossinnen und Genossen der Linken in Weißenfels, Sachsen-Anhalt. Bild: Olaf Krostitz

Deshalb ist die Kärrnerarbeit vor Ort unendlich viel wichtiger und mutiger als die Sonntagsreden am Brandenburger Tor. Nur wer es mit den Menschen ernst meint, wird sie auch von einer anderen Art der Politik überzeugen können. Und das bedarf einer langfristigen Strategie, viel Geduld und dem Willen, für die kleinen Verbesserungen und ein warmes Mittagessen genauso zu streiten wie für eine Perspektive für diejenigen, die keine mehr zu haben glauben. 

Streiten wir für diesen Osten ohne das Mitgefühl füreinander zu verlieren.